IQWiG-Abschlussbericht für den G-BA: So wird NIPT bewertet
NIPT kann Trisomie 21 zuverlässig bestimmen und reduziert die Anzahl der invasiven Untersuchungen
Nach dem Vorbericht vom Dezember 2017 (wir berichteten) hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Ende Juni 2018 seinen 133seitigen Abschlussbericht zu den nicht invasiven Pränataltests (NIPT) veröffentlicht. Aufgabe war, die diagnostischen Eigenschaften von NIPT zu bewerten und diverse Szenarien durchzurechnen, um zu prüfen, ob NIPT als Kassenleistung in die Schwangerenvorsorge aufgenommen werden könnte. Gleich vorneweg: Eine voraussichtliche Entscheidung des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) u.a. auf Basis dieses Berichts ist erst für August 2019 geplant.
NIPT zur Bestimmung der Trisomie 21 hat ähnlich hohe Testgüte wie die der invasiven Diagnostik
Wie schon im Vorbericht erhielt NIPT sehr gute Noten für die Bestimmung der Trisomie 21. Die Sensitivität liegt bei 99,13% (im Vorbericht lag sie bei 99,07%), die Spezifität bei 99,95% (wie auch bereits im Vorbericht). Damit bescheinigt das IQWiG laut Pressemeldung den nicht invasiven Pränataltests zumindest für die Bestimmung der Trisomie 21 eine ähnlich hohe Testgüte wie jene der invasiven Methoden. Für die Trisomien 13 und 18 gibt das IQWiG wie auch im Vorbericht keine Bewertung ab. Sensitivität und Spezifität könnten „nicht robust“ geschätzt werden; sie dürften niedriger liegen als für die Trisomie 21.
Betrachtet wurden insgesamt 22 Studien – im Vorbericht waren es noch 19 Studien. Eine der drei neu hinzugenommenen Studien ist Europas erste klinische Nachbeobachtungsstudie zur Bewertung der NIPT-Testgüte in der klinischen Routine, bei welcher der PraenaTest® zum Einsatz kam (Floeck A, Tu NC, Rüland A, Holzgreve W, Gembruch U, Geipel A. Non-invasive prenatal testing (NIPT): Europe’s first multicenter post-market clinical follow-up study validating the quality in clinical routine. Arch Gynecol Obstet. 2017 Nov;296(5):923-928.)
NIPT überschätzt durch Ausschluss von Testversagern?
Das IQWiG hat im Vergleich zum Vorbericht einen neuen Aspekt eingebracht: Eine mögliche Überschätzung der diagnostischen Eigenschaften von NIPT, da die NIPT-Ausfallrate unberücksichtigt bleibt. Gemäß IQWiG könnte dies folgenden entscheidenden Einfluss auf das Szenario der Erstlinienstrategie „Einsatz von NIPT bei allen Schwangeren“ nehmen: Wenn bei allen schwangeren Frauen NIPT zur Anwendung käme, würden fast alle Feten mit Trisomie 21 erkannt. Zwar würden bei Frauen mit niedrigem Risiko zusätzliche invasive Untersuchungen durchgeführt, die Gesamtzahl der Untersuchungen bliebe jedoch immer noch unter dem derzeitigen Status Quo. Allerdings, so das IQWiG, könnte die Anzahl der notwendigen invasiven Untersuchungen den Status Quo überschreiten, falls die NIPT-Ausfallrate berücksichtigt würde, davon ausgehend, dass ein NIPT-Testversagen eine invasive Diagnostik nach sich zöge. Leider sei unklar, wieviele Fälle dies tatsächlich beträfe.
Hintergrund ist, dass in den Kollektiven der nicht auswertbaren NIPT eine erhöhte Aneuploidie-Rate beschrieben wird (z.B. Floeck et al 2017). Hierzu schreibt das IQWiG auf Seite 82: „Aufgrund des möglichen Zusammenhangs zwischen einem Testversagen und dem Risiko einer Aneuploidie kann bei Nichtberücksichtigung von NIPD-Testversagern sowohl die Sensitivität als auch die Spezifität von NIPD überschätzt sein, und zwar abhängig davon, ob man nicht auswertbare NIPD als testpositiv oder testnegativ wertet.“ Testversager konnten in den Berechnungen zu den Szenarien (ab Seite 76 ff. des Abschlussberichts) jedoch nicht berücksichtigt werden, da nicht alle der betrachteten Studien auch die Gründe beschrieben, warum Tests keine aussagekräftigen Ergebnisse erzielen konnten. Das IQWiG hält in seinem Bericht fest, dass Testversagen auch durch generelle Laborfehler bedingt sein könnten, bspw. bei der Blutentnahme oder im Umgang mit der Blutprobe. Des Weiteren würden in manchen Studien konkrete Informationen zu den Aneuploidien im Kollektiv der nicht auswertbaren NIPT fehlen.
Zweitlinienstrategie würde Anzahl der invasiven Diagnostik reduzieren
Bei der Betrachtung des Szenarios der Zweitlinienstrategie „NIPT für schwangere Frauen mit erhöhtem Risiko“ ließe sich laut IQWiG die Anzahl der invasiven Untersuchungen gegenüber dem Status Quo in diesem Kollektiv reduzieren. Allerdings blieben die Fälle mit Trisomie 21 bei schwangeren Frauen mit niedrigem Risiko unerkannt.
Es gab zehn Stellungnahmen zum Vorbericht
Insgesamt wurden neun Stellungnahmen von Organisationen und Firmen zum Vorbericht eingereicht sowie eine Stellungnahme einer Privatperson. Alle Stellungnahmen sind ebenfalls online einsehbar (s. PDF „Dokumentation der Anhörung zum Vorbericht“).
Auch wir übersandten unsere Gesichtspunkte und Anmerkungen, u.a.:
- Wir würden es begrüßen, wenn für die weitere Einschätzung einer möglichen Eignung von NIPT als Kassenleistung auch darauf geachtet wird, dass alle NIPT-Anbieter ihre Tests gemäß der IVD-Richtlinie (98/79/EG) der Europäischen Union zugelassen haben.
- Wir empfahlen, die Studie von Floeck et al 2017 mit zu berücksichtigen. Sie belegt die sehr hohe Testgüte für den Nachweis bzw. den Ausschluss insbesondere der Trisomie 21 (Sensitivität und Spezifität jeweils 100%). Auch wurde in dieser Studie festgestellt, dass im Kollektiv der nicht auswertbaren NIPT-Ergebnisse die Rate an chromosomalen Aneuploidien mit 27,3% hoch war. Daher sollte Schwangere mit nicht auswertbarem NIPT-Ergebnis eine qualifizierte Ultraschalldiagnostik zur Entscheidungsfindung bzgl. einer invasiven Diagnostik angeboten werden. Unser Key Paper Summary zur Studie ist hier LifeCodexx AG hat die Studie gesponsort, da wir als Hersteller von Medizinprodukten angehalten sind, die Güte eines Produktes in einer Nachbeobachtungsstudie zu überprüfen und um damit die langfristige Sicherheit und Leistung des Produktes zu gewährleisten.
- Des weiteren haben wir auf die Publikation von Schmid et al 2015 verwiesen, in der empfohlen wird, NIPT auch als primäres Screening-Verfahren für eine fetale Trisomie 21 bei schwangeren Frauen jeden Alters und jeder Risikogruppe einzusetzen. Zusätzlich erinnerten wir an die Stellungnahme der GfH aus 2012 (medgen (2012)24:312), in welcher gefordert wird, dass NIPT keiner Schwangeren vorenthalten werden kann bzw. allen Schwangeren verfügbar gemacht werden sollte.
Fazit: Berechnungen vermitteln nur einen groben Eindruck
Generell betont das IQWiG, dass die Berechnungen der drei Szenarien (Erstlinien- sowie Zweitlinienstrategie sowie nach aktuellem Vorgehen ohne NIPT, s. Seiten 76ff) lediglich einen „groben Eindruck“ vermitteln können und quantitative Angaben zur Versorgungssituation in Deutschland nicht möglich sind. Beispielsweise sei nicht bekannt, wie das ETS in Anspruch genommen wird oder welche Frauen welchen Alters welche Untersuchung – ob nicht invasiv oder invasiv – in Anspruch nehmen würden oder aber nicht. Zahlen hierfür seien für Deutschland nicht bekannt.
Die Planung des Gesamtverfahrens sieht nun vor, dass der G-BA das Verfahren im August 2019 zum Abschluss bringt.
Unser Fazit vom Fazit: Es dürfte weiter spannend bleiben.